Liebe Freundin, lieber Freund,,

herzlich Willkommen in der Musik ist Liebe-"Sekte". Ich weiß – Freundschaft ist ein großes Wort. Aber: in meinen Konzerten fühle ich eine Verbundenheit, die mir Liebesvokabular nahelegt. Oft habe ich auf der Bühne das Gefühl umarmenden Vertrauens und bilde mir ein, nichts zurückhalten zu müssen. Gleichzeitig bin ich mir natürlich der Distanz bewusst, dass wir uns eigentlich fremd sind. Und dennoch: Im Augenblick der Verschmelzung durch Musik und Sprache erlebe ich Existenzielles, das mich glücklich macht und wofür ich danke. Das Gleiche empfinde ich in der Arbeit im Theater: die Begegnung schafft den Klang.

Lustige Presse 

Nach der Premiere von Germania an der Berliner Volksbühne habe ich mich gefreut, in allen großen und kleinen Feuilletons des Landes eher wohlwollend besprochen zu werden. Nachdem der Deutschlandfunk einmal "meine banalen Musikfloskeln" ... "zum Fremdschämen peinlich" fand, war das eine gewisse Wohltat. Dabei fiel mir auf, dass doch eher mehr als wenige Rezensent*innen (ja, sogar die Damen!) voneinander abschreiben. Aber ich will mich nicht ärgern, nur freuen. Und ein bisschen amüsieren, hier ist das best-of der Premierenkritik: 

Pressestimmen zu GERMANIA: 
"Ein kleines Orchester" (Süddeutsche Zeitung), "ein großes Orchester" (Der Spiegel), "ein hervorragendes Orchester" (Berliner Morgenpost) "spielt Mark Scheibes unheilvolle Kompositionen" (FAZ), die "komplex" (Frankfurter Rundschau), "bedrohlich anschwellend" oder nach "Wagner-Bombast" (Deutschlandfunk) klingen oder nach "Hanns Eisler und Hans Zimmer" (MOZ) oder wie "Schönberg" (taz), "Schostakowitsch" (Süddeutsche Zeitung) oder "nach Stummfilm-Ära." (Nachtkritik) Auf jeden Fall "wirklich erstklassig" (RBB-Inforadio), "zur zirzensischen Musiktragödie erweitert" (FAZ) und diese "Quasi-Veroperung ist das Allerbeste und hochvorzüglich." (Der Freitag)

Neodramatischer Hypersurrealismus 

Habe nun, ach! hunderte Lieder geschrieben, versucht, alles richtig zu machen, formale Strukturen zu fühlen und zu erfüllen. Habe Schlager, Chansons und das Great American Songbook, Schubert und Mahler, Tom Waits und Käptn Peng studiert. Das ist ja alles hochinteressant. Im September nehme ich ein neues Album auf: nun keimt in mir ein deutliches Pflänzchen; es will in alle Richtungen wachsen, will Erzähldichte und Melodien, die Dir die Mütze wegfegen, Texte, die aus dem Nichts kommen und unter der Haut nicht aufhören, Klänge, die nach Oper schmecken, aber den Orchestergraben sprengen. (Bevor ich zu arbeiten beginne, schreibe ich immer erstmal den Pressetext.)

Das nächste Album 

Mit LIEDER FÜR DEN SPÄTEN ABEND habe ich mir den Wunsch erfüllt, ein Werk in einer Farbe zu malen – ich wollte unbedingt, dass diese Platte "funktioniert", dass sie zum Dinner gehört werden kann, dass sie eine romantische Begegnung begleiten und begünstigen kann. Viele würden solche Anlässe mit Billie Holiday, Sinatra, Chet Baker oder der Starbucks-Dinnerjazz-CD feiern und ich wusste, dass die Hürde für so etwas auf deutsch hoch sein würde. Darum habe ich auf Reizworte verzichtet, die die Intimität eines Abends bei Kerzenlicht beschatten könnten: keine Privatinsolvenz, Ausnüchterungszellen, nichts über den Dschihad oder Locker Room Talk. Mich würde interessieren, ob das gelingt. Schreibt mir gern Eure Erfahrungen mit den Liedern für den späten Abend in den Kommentar unten – es bleibt ja unter uns.

Fürs nächste Album steht mir der Sinn nach Abwechslung! Ich liebe die große Bandbreite, den weiten Horizont und scheinbare Gegensätze. Das Triviale soll seinen Platz haben, so wie das Erhabene. Das Vertraute, das Fremde. Die Etikettenworte Schlager, Pop und E-Musik dienen als Köder, aber ich suche fließende Bewegung zwischen ihnen. Ich denke, dass ich im Frühjahr die ersten Skizzen vorzeigen kann und bin gespannt, ob diese Idee Freunde findet. Was meint Ihr?
Hier ist schonmal ein Bleistiftentwurf aus der Eisenbahn:

Hier ein Photo, das Musik ist Liebe-Mitglied Mario M. Klecker in Bremen gemacht hat. Es zeigt einen beseelten, glücklichen Sänger nach einem heißen Abend mit einem sehr sexy Publikum. Danke, Mario!

SLOW MOTION MUSIC

Ich liebe es langsam. Wenn die Zeit träge wie Honig durch die schweren Finger rinnt, wenn jede Silbe zu einem Objekt im Raum wird, das liebe ich. Und experimentiere mit Untertempi. Hier ist für Euch Autumn Leaves, sooooo slow...

AACHEN, MEINE GESCHWISTER

Im Dumont, diesem glitzertapetigen Sündenglückstempel in Aachens Zollernstraße, deren Bushaltestelle "Normaluhr" heißt, floss am 4. Dezember die Zeit in Slow-Motion. Zwei satte, gute Konzertstunden mit einem so herzensoffenen Publikum, das seine sexuellen Phantasien mit mir teilte und mich so vertrauensvoll empfing, dass ich meine familiären Gefühle nur mit Verbrüder- und Verschwesterung ausdrücken kann. Danke! Hier ein Ausschnitt des in der Pause geschriebenen Lieds:

"SCHNUPPER MAL AN WUPPERTAL",